Trotz bundesweiter Digitalisierungsoffensiven hinkt das Gastgewerbe Mecklenburg-Vorpommerns bei der technologischen Transformation hinterher. Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (DEHOGA MV) vom 15. Januar 2025 nutzen nur 23 % der Betriebe vollintegrierte Reservierungs- und Kassensysteme. Gleichzeitig klagen 54 % der Unternehmer über gestiegene Bürokratielasten durch hybrid genutzte Tools – ein Paradoxon, das Experten als „Digitalisierungsfalle“ kritisieren.
Aktuelle DEHOGA-Umfrage: Stand der Digitalisierung 2024
Eine Befragung unter 420 Mitgliedsbetrieben des DEHOGA MV im November 2024 zeigt gravierende Defizite (Studienzusammenfassung hier):
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Vollintegrierte Systeme: 23 %
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Hybride Lösungen (digitale + analoge Prozesse): 68 %
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Rein analoge Abrechnung: 9 %
Als Haupthemmnisse nannten die Betriebe fehlende Systemkompatibilität (71 %), hohe Investitionskosten (65 %) und mangelndes IT-Personal (58 %). DEHOGA-Präsident Lars Schwarz verdeutlichte in einer Pressemitteilung: „Die föderale Zersplitterung der Meldesysteme führt zu unnötiger Mehrarbeit. Eindurchschnittlicher Betrieb investiert monatlich 15 Stunden in redundante Dateneingaben“.
Praxisbeispiel: Digitale Gästeregistrierung scheitert an Landesvorgaben
Das Tourismusbarometer 2024 der Landesregierung MV listet 12 verschiedene digitale Meldesysteme für Gästeregistrierungen auf. Während Großbetriebe an der Ostseeküste überwiegend das System „GAST-MV“ nutzen, sind in ländlichen Regionen Excel-Listen und Papierformulare verbreitet.
Dr. Helena Fischer, Digitalisierungsexpertin der Universität Rostock, analysiert in einem Gastbeitrag für die Ostsee-Zeitung: „Hotels an der Küste berichten von bis zu 18 Stunden monatlichem Mehraufwand durch parallele Systeme“.
Eine Studie des Ifo-Instituts Dresden belegt, dass hybride Systeme in MV 23 % höhere Verwaltungskosten verursachen als in Bundesländern mit einheitlichen Standards wie Schleswig-Holstein.
Förderprogramme laufen ins Leere: Nur 15 % der Betriebe nutzen Zuschüsse
Das Wirtschaftsministerium MV stellte 2024 insgesamt 10 Millionen Euro für Digitalisierungsprojekte bereit. Bis Dezember 2024 wurden jedoch nur 2,2 Millionen Euro abgerufen. In einer Stellungnahme vom 5. Februar 2025 nannte das Ministerium drei Gründe:
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Komplexe Antragsverfahren: Durchschnittlich 8 Stunden Bearbeitungszeit pro Antrag.
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Fehlende Beratungsangebote: Nur 12 zertifizierte IT-Lotsen stehen landesweit zur Verfügung.
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Unklare ROI-Berechnungen: 73 % der Betriebe können Kosteneinsparungen nicht prognostizieren.
Gleichzeitig kritisiert der Handelsverband Nord die „Doppelförderung“: Viele Tools seien bereits über den „Digitalbonus Handel“ abgedeckt, der jedoch nicht auf Gastronomiebetriebe ausgeweitet wurde.
Pilotprojekt „Digitales MV“: Modellregion Rügen startet Lenkungsgermium
Als Reaktion auf die Defizite startete die Landesregierung am 1. Februar 2025 das Pilotprojekt „Digitales MV“ auf Rügen. 50 Betriebe unterschiedlicher Größe testen eine einheitliche Plattform für:
- Reservierungen
- Rechnungsstellung
- Gästekommunikation
- Behördliche MeldungenProjektleiterin
Projektleiterin Katrin Bergmann erläuterte im NDR-Interview: „Unser Ziel ist die Reduzierung des Verwaltungsaufwands um 30 %. Erste Zwischenergebnisse erwarten wir im Juni 2025“. Das Projekt wird vom Bund mit 1,5 Millionen Euro gefördert.
Langfristprognose: IW warnt vor „digitaler Spaltung“
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) prognostiziert in einer Studie vom 10. Februar 2025:
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Digitalisierungsrückstand: MV liegt 11,2 Prozentpunkte hinter dem Bundesdurchschnitt.
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Betriebsschließungen: 45 % der Kleinstbetriebe mit unter 10 Mitarbeitern könnten bis 2030 schließen.
IW-Studienleiter Prof. Markus Weber warnt: „Betriebe ohne Digitalisierungsstrategie riskieren langfristige Wettbewerbsnachteile. Die Kluft zwischen Küste und Binnenland verschärft sich“.
Hintergrund: Bund-Länder-Konflikt verschärft Probleme
Während der Bund mit der „Digitalstrategie 2025“ eine flächendeckende Vernetzung anstrebt, behindern landesspezifische Vorgaben die Umsetzung. So verpflichtet das Gaststättengesetz MV Betriebe zur Nutzung lokaler Meldesysteme, die nicht mit Bundesportalen kompatibel sind.
Der DEHOGA MV kritisiert in einer Pressemitteilung: „Die parallele Nutzung von GAST-MV, TourDigital und kommunalen Systemen verursacht unnötige Doppelarbeit. Ein Betrieb gibt durchschnittlich 18 Stunden monatlich nur für Dateneingabe aus“.
Ausblick: DEHOGA fordert Digitalpakt Gastgewerbe
DEHOGA-Präsident Schwarz appelliert an die Politik: „Wir brauchen einen bundesweit einheitlichen Standard, vereinfachte Förderanträge und IT-Schulungen für Mitarbeiter. Sonst verlieren wir den Anschluss an internationale Wettbewerber“.
Das Wirtschaftsministerium MV kündigte unterdessen an, bis 2026 20 zusätzliche IT-Lotsen einzustellen und das Antragsverfahren für den Digitalbonus zu straffen (Pressemitteilung hier).