Die Werftindustrie in Rostock hat eine lange und traditionsreiche Geschichte, die eng mit der maritimen Wirtschaft und der Bedeutung der Stadt als Hafenstandort verknüpft ist. Über Jahrzehnte hinweg spielten die Werften eine zentrale Rolle für die Wirtschaft der Region, sowohl in der Handelsschifffahrt als auch im militärischen Schiffbau. Doch der Strukturwandel, globale Marktveränderungen und neue technologische Anforderungen haben die Branche vor große Herausforderungen gestellt.
Die Insolvenz der MV Werften im Jahr 2022 war ein einschneidendes Ereignis, das die gesamte maritime Industrie in Mecklenburg-Vorpommern betraf. Doch inmitten dieser Krise eröffnen sich durch neue Investoren, staatliche Förderprogramme und den technologischen Wandel auch neue Chancen für die Werftindustrie in Rostock. Insbesondere innovative Antriebstechnologien, Digitalisierung und der Bau von Spezialschiffen könnten den Standort langfristig stabilisieren und für die Zukunft rüsten.
MV Werften – Von der Insolvenz zur Neuausrichtung
Die MV Werften, die Werftengruppe mit Standorten in Wismar, Rostock und Stralsund, spielte bis zu ihrer Insolvenz eine bedeutende Rolle im Schiffbau Norddeutschlands. Das Unternehmen, das sich auf den Bau von Kreuzfahrtschiffen spezialisiert hatte, geriet durch die COVID-19-Pandemie in eine schwere Krise, da die Nachfrage nach Kreuzfahrten drastisch einbrach. Die Werften konnten nicht mehr aus eigener Kraft wirtschaftlich überleben, was schließlich zur Insolvenz führte.
In Rostock betraf diese Entwicklung insbesondere die Neptun Werft, ein traditionsreicher Standort, der zuvor zu MV Werften gehörte. Nachdem der asiatische Mutterkonzern Genting Hong Kong in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, suchte die deutsche Politik intensiv nach Lösungen, um die Arbeitsplätze und Produktionskapazitäten zu erhalten.
Mit neuen Investoren und staatlicher Unterstützung wird nun eine Neuausrichtung der Werftindustrie angestrebt. Dabei stehen besonders zwei zentrale Aspekte im Fokus:
- Diversifizierung der Produktion – Der alleinige Fokus auf Kreuzfahrtschiffe erwies sich als riskant. In Zukunft sollen auch andere Schiffstypen, wie Spezialschiffe für Offshore-Windparks oder umweltfreundliche Frachtschiffe, gebaut werden.
- Technologische Innovationen – Alternative Antriebstechnologien, Digitalisierung im Schiffbau und Automatisierung spielen eine immer größere Rolle. Hier muss sich die Werftbranche in Rostock neu aufstellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Technologischer Wandel: Neue Antriebssysteme und nachhaltiger Schiffbau
Die maritime Industrie befindet sich weltweit in einem Umbruch. Strengere Umweltauflagen, steigende Treibstoffpreise und der gesellschaftliche Druck zur Dekarbonisierung zwingen Werften dazu, alternative Antriebskonzepte zu entwickeln. Rostock hat die Chance, in diesem Bereich eine Vorreiterrolle einzunehmen.
1. Wasserstoff- und LNG-Antriebe als Zukunftstechnologien
Einer der vielversprechendsten Ansätze ist die Entwicklung von wasserstoffbetriebenen Schiffen. Wasserstoff gilt als emissionsfreie Alternative zu herkömmlichem Schiffsdiesel und könnte vor allem in der Küstenschifffahrt sowie im Fährbetrieb eine bedeutende Rolle spielen.
Auch Flüssigerdgas (LNG) wird als Übergangstechnologie genutzt. LNG-Schiffe verursachen deutlich weniger Emissionen als traditionelle Antriebe, auch wenn sie langfristig nicht die endgültige Lösung für eine klimaneutrale Schifffahrt darstellen. In Rostock entstehen erste Projekte, die die Infrastruktur für LNG-Schiffe ausbauen, etwa durch LNG-Bunkerstationen im Hafen.
2. Elektrische und hybride Antriebssysteme
Ein weiterer Bereich, in dem Rostocker Werften aktiv sind, ist die Entwicklung von hybriden oder vollelektrischen Antrieben für kleinere Schiffe. Besonders bei Fähren oder Hafenfahrzeugen könnten Elektromotoren, kombiniert mit leistungsstarken Batterien, eine nachhaltige Alternative sein. Erste Pilotprojekte werden bereits getestet, um die Machbarkeit dieser Technologien unter realen Bedingungen zu prüfen.
3. Automatisierung und digitale Schifffahrt
Die Digitalisierung spielt eine zunehmend zentrale Rolle im Schiffbau. Automatisierte Produktionsprozesse und digitale Zwillinge, also virtuelle Modelle eines Schiffes, die eine präzisere Planung und Wartung ermöglichen, werden immer wichtiger.
Die Universität Rostock und verschiedene maritime Forschungsinstitute arbeiten an Konzepten für autonome Schiffe, die in Zukunft ohne Besatzung operieren könnten. Diese Technologie wird vor allem in der Logistikbranche als zukunftsweisend angesehen. Rostocker Werften haben die Chance, sich frühzeitig auf diese neuen Anforderungen einzustellen und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
Chancen durch neue Investoren und Kooperationen
Um die Werftindustrie langfristig zu stabilisieren, sind Investoren und strategische Partnerschaften entscheidend. Nach der Insolvenz der MV Werften wurden neue Unternehmen und Investoren aktiv, die an der Wiederbelebung des Standorts Rostock interessiert sind.
Ein bedeutender Akteur ist der Rüstungskonzern Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS), der sich verstärkt in Rostock engagieren möchte. Das Unternehmen plant, den Standort für den Bau von U-Booten und Marine-Schiffen zu nutzen. Dadurch könnte ein Teil der verlorenen Arbeitsplätze wiederhergestellt werden.
Gleichzeitig gibt es Bestrebungen, den Fokus auf zivile Spezialschiffe zu richten. Hierzu gehören beispielsweise Schiffe für den Ausbau von Offshore-Windparks, Forschungsschiffe und hochmoderne Container- oder Versorgungsschiffe.
Auch ausländische Investoren zeigen Interesse an den Rostocker Werften, insbesondere aus Skandinavien. Die enge geografische und wirtschaftliche Verbindung zu den nordischen Ländern könnte dazu beitragen, dass Rostock als maritime Drehscheibe für innovative Schiffstechnologien an Bedeutung gewinnt.
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Region
Die Werftindustrie ist ein bedeutender Arbeitgeber in Rostock und der gesamten Region. Der Niedergang der MV Werften führte zu einem spürbaren wirtschaftlichen Rückgang, doch durch die neuen Investitionen und strategischen Neuausrichtungen ergeben sich wieder Perspektiven.
- Arbeitsplätze in neuen Bereichen: Während klassische Schiffbauer nach wie vor gefragt sind, werden zunehmend auch Experten für neue Technologien, wie Wasserstoff-Antriebe und digitale Produktionsprozesse, benötigt.
- Fachkräftebedarf: Die Universität Rostock sowie Fachhochschulen in Mecklenburg-Vorpommern bieten bereits spezialisierte Studiengänge im Bereich Schiffbau, Ingenieurwesen und maritime Technologien an, um den zukünftigen Bedarf an Fachkräften zu decken.
- Integration von Zulieferbetrieben: Viele mittelständische Unternehmen in Rostock hängen von der Werftindustrie ab. Die Stabilisierung der Branche sorgt dafür, dass auch diese Unternehmen weiter existieren und wachsen können.
Fazit: Zukunftsperspektiven für die Rostocker Werften
Die Werftindustrie in Rostock befindet sich an einem Wendepunkt. Die Insolvenz der MV Werften war ein schwerer Schlag, doch durch neue Investitionen, technologische Innovationen und eine strategische Neuausrichtung ergeben sich erhebliche Chancen für die Zukunft.
Besonders der Fokus auf alternative Antriebe, Digitalisierung und spezialisierte Schiffstypen könnte dazu beitragen, dass Rostock nicht nur seine Werftindustrie erhält, sondern sich als zukunftsweisender Standort etabliert.
Der Erfolg dieser Transformation wird davon abhängen, wie gut es gelingt, Fachkräfte auszubilden, Investoren zu gewinnen und den Wandel aktiv zu gestalten. Sollte dies gelingen, könnte Rostock in den kommenden Jahren wieder eine führende Rolle in der deutschen Werftindustrie übernehmen und ein Modell für eine nachhaltige, innovative maritime Wirtschaft werden.