Trotz eines Gästezuwachses von 5,8 % im Jahr 2024 verzeichnete das Gastgewerbe Mecklenburg-Vorpommerns reale Umsatzeinbußen von 3,8 %. Dies geht aus den am 20. Februar 2025 veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes hervor, die der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA MV) in seiner Jahresbilanz bestätigte. Die Diskrepanz zwischen gestiegenen Besucherzahlen und sinkenden Erlösen verdeutlicht die anhaltenden Herausforderungen der Branche, die durch steigende Energiekosten, hohe Personalkosten und die Rückkehr zum regulären Mehrwertsteuersatz belastet wird.
Umsatzentwicklung im Detail: Gastronomie verliert 15,8 % gegenüber 2019
Laut Destatis sanken die preisbereinigten Umsätze 2024 auf ein historisches Tief. Während die Gastronomie einen Rückgang von 3,8 % gegenüber 2023 und 15,8 % gegenüber 2019 verzeichnete, stagnierte die Beherbergung mit einem Minus von 0,4 % gegenüber 2023 und 4,9 % gegenüber 2019. Besonders drastisch zeigt sich die Entwicklung im Dezember 2024: Die nominalen Gastronomieumsätze stiegen lediglich um 0,5 %, inflationsbereinigt ergibt sich jedoch ein realer Verlust von 3,8 % bei einer Teuerungsrate von 2,4 %.
DEHOGA-Präsident Lars Schwarz kommentierte die Zahlen mit deutlichen Worten: „Die Schere zwischen gestiegenen Kosten und Erträgen klafft immer weiter auf. Viele Betriebe stehen mit dem Rücken zur Wand.“
Dreifachbelastung: Energie, Löhne und Steuern drücken Margen
Eine Analyse des DEHOGA MV identifiziert drei Haupttreiber der Krise. Die Energiekosten stiegen seit 2022 um 34 %, während die Personalkosten durch Tarifabschlüsse um 18 % zulegten. Hinzu kommt die Rückkehr des Mehrwertsteuersatzes auf Speisen von 7 % auf 19 % – eine Maßnahme, die viele Betriebe vor existenzielle Herausforderungen stellt.
Guido Zöllick, Bundesvorsitzender des DEHOGA, verdeutlichte im NDR-Interview die Folgen: „Die Rückkehr zum 19 %-Steuersatz war ein Schock. 61 % der Betriebe konnten die Preiserhöhung nicht vollständig an die Gäste weitergeben, ohne wettbewerbsunfähig zu werden.“
Küstenboom vs. Binnenlandkrise: Regionale Schere öffnet sich weiter
Die Tourismusstatistik 2024 offenbart ein zweigeteiltes Bild. Während die Ostseeküste mit 23,1 Millionen Übernachtungen einen Zuwachs von 2,1 % verzeichnete, brach die Mecklenburgische Seenplatte mit 7,2 Millionen Übernachtungen um 8,3 % ein. Die Vorpommersche Boddenlandschaft verzeichnete hingegen ein Plus von 3,8 % auf 4,9 Millionen Übernachtungen.
Dr. Tobias Woitendorf vom Landestourismusverband analysiert: „Die Küstenregionen profitieren vom Tagestourismus und hochpreisigen Angeboten. Im Binnenland dagegen kämpfen Betriebe mit Preisdruck und sinkender Auslastung.“ Diese Polarisierung spiegelt sich auch in den Preisen wider: Gastronomen an der Ostsee erhöhten ihre Durchschnittspreise um 6,2 %, während Betriebe in der Seenplatte gezwungen waren, Preissenkungen von bis zu 4 % vorzunehmen.
Konsumverhalten: Gäste sparen bei Aufenthaltsdauer und Nebenausgaben
Laut einer DEHOGA-Umfrage sank die durchschnittliche Aufenthaltsdauer von 3,0 Tagen (2023) auf 2,3 Tage (2024). Gleichzeitig stieg der Anteil der Tagesgäste auf 41 % – ein Plus von 9 Prozentpunkten. Die Pro-Kopf-Ausgaben fielen von 27,70 € auf 23,50 €, während der Getränkeumsatz in Restaurants um 12 % einbrach.
Hotelier Frank Marquardt aus Binz bestätigte im NDR: „Gäste bestellen seltener Vorspeisen und reduzieren Portionsgrößen. Selbst bei Hauptgerichten greifen viele zur günstigeren Variante.“ DEHOGA-Daten zeigen, dass 64 % der Betriebe ihr Angebot 2024 anpassten: 75 % erhöhten Preise, 30 % verkleinerten Portionen.
Landesregierung reagiert mit 50-Millionen-Euro-Hilfspaket
Als Antwort auf die Krise beschloss die Landesregierung am 10. Februar 2025 ein Maßnahmenpaket im Umfang von 50 Millionen Euro. Es umfasst 15 Millionen Euro Soforthilfen für energieintensive Betriebe, 10 Millionen Euro Digitalisierungszuschüsse bis 2026 und 3.000 Euro Ausbildungsprämien pro Azubi.
Parallel fordert der DEHOGA MV eine dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen von 19 % auf 7 %. Präsident Schwarz betonte in einer Pressemitteilung: „7 % sollten der Normalfall sein, nicht die Ausnahme. Nur so können wir die Wettbewerbsfähigkeit der Branche erhalten.“
Langfristprognose: IW warnt vor verlängerter Erholungsphase
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) prognostiziert in seiner März-2025-Studie eine verlängerte Erholungsphase. Demnach wird der reale Umsatz 2025 um 1,2 % sinken, bevor ab 2026 ein jährliches Plus von 1,8 % bei stabiler Inflation folgt. Das Vorkrisenniveau von 2019 werde frühestens 2032 erreicht.
Als Wachstumstreiber identifiziert die Studie digitale Bestellsysteme (Effizienzsteigerung um 11 %) und Nachhaltigkeitszertifizierungen (Preisaufschlagfähigkeit um 8 %). Dr. Petra Köhler, Studienleiterin des IW, warnt jedoch: „Ohne strukturelle Reformen droht dem Gastgewerbe eine verlorene Dekade.“
Hintergrund: Betriebsschließungen und Insolvenzen nehmen zu
Laut DEHOGA-Zahlenspiegel (Q1/2024) sank die Zahl der umsatzsteuerpflichtigen Gastronomiebetriebe in MV seit 2019 um 6,5 %. Gleichzeitig stieg die Zahl der Insolvenzen 2024 auf 277 Fälle – ein Plus von 19 % gegenüber 2023.
Annette Rösler, Geschäftsführerin des Bäderverbands MV, erklärt: „Die Preise in der Gastro sind dort angekommen, dass sich eine vierköpfige Familie den Restaurantbesuch gut überlegt. Pommes und Fischbrötchen sind oft die Alternative.“
Guido Zöllick appelliert an die Politik: „Ohne starke Wirtschaft gibt es keinen Aufschwung. Wir brauchen echte Lösungen: 7 % Mehrwertsteuer, Bürokratieabbau und Flexibilität bei der Arbeitszeit.“